Buddhistische Gemeinschaft
Jōdo Shinshū Deutschland e.V.

Gobunshō 5-10 Über die Tradition Shinran Shōnins

1. „Inhalt aller Belehrungen in der Tradition [Shinran] Shōnins ist es, dass das vertrauensvolle Herz (shinjin) als Grundlage zu betrachtet wird.“

Go-kange, die „Belehrung“ ist wörtlich übersetzt: die „Ermutigung zur Veränderung“. Damit ist eine Belehrung über buddhische Themen gemeint, durch die die Menschen zu einer positiven Veränderung oder Taten aufgerufen werden sollen. Im einfachsten Fall kann eine Predigt für eine buddhistische Spendensammlung gemeint sein. Gerade Rennyos Predigten werden meist auch diesen Hintergrund gehabt haben, schließlich war er ständig mit irgendwelchen Bauprojekten beschäftigt und seine Anhänger Rennyos waren wirklich gefordert. Ihr Buddhist-Sein hatte ganz praktische Komponenten, z.B. dass sie im Wald Holz für den Bau des nächsten Honganji-Tempels schlugen. Eine Predigt muss im Herze irgendetwas verändern, sonst kommt sie nicht an. Meist ändert sich dann auch irgendetwas im Leben. - Hier ist also die Frage, ob es nicht einen gemeinsamen Kern aller Shin-buddhistischen Predigten gibt - und zwar egal, worauf sie hinauslaufen, ob es sich um eine Spendensammlung handelt oder um eher theoretische Erklärungen.

Diesen Kern aller Shin-buddhistischen Predigt fasst Rennyo in einem Satz zusammenfassen: „das vertrauensvolle Herz (shinjin) wird als die Grundlage betrachtet“. Die Grundlage (hon) der ganzen buddhistischen Übung ist, wie Prof. Sonoda shinjin hier übersetzte, das „geschenkte Vertrauen“ (womit er schon vorausgreift, denn vom Schenken steht im ersten Satz explizit noch nichts.)

Ein Wort, an dem alle Übersetzer scheitern, obwohl es im Japanischen eigentlich am auffallendsten ist, ist das Wort „eins“ vor dem Wort „Tradition“. Ich habe in der letzten Auflage die „einzigartige Tradition des Shōnin“ übersetzt, und das ist auch richtig, denn Rennyo war sicherlich der Auffassung, die Jōdo Shinshū sei die einzige Tradition des Buddhismus, die die ganze buddhistische Praxis ausschließlich im shinjin begründet sieht. Vielleicht wird hier aber nicht die singuläre Rolle der Jōdo Shinshū im Buddhismus besonders betont, sondern ihr Charakter als „Ein-Themen-Buddhismus“: Es gibt nur einen Buddha, dem man sich einsgerichtet zuwendet, eine Übung (das Nembutsu) und es gibt nur eine Lehre, die Rennyo ja präzise formuliert: Alle buddhistische Übung hat in shinjin ihre Grundlage.

Am wahrscheinlichsten scheint es mir, dass Rennyo die "eine Tradition des Shōnin" ins Spiel bringt, weil er nicht wollte, dass seine Zuhörer diese Lehre generalisieren. Man kann die gesamte Shin-buddhistische Lehre in dieser Weise charakterisieren, aber nicht unbedingt die Lehren anderer buddhistischer Schulen. Welche Rolle diese shinjin zuordnen, sei dahingestellt. Rennyo hat immer wieder vor Streitereien über solche Fragen gewarnt. Wenn Buddhisten miteinander streiten nützt das niemandem; aber jeder muss eine eigene Tradition gründlich kennenlernen!

2. Denn: man gibt die vermischten Übungen auf, nimmt mit einsgerichtetem Herzen Zuflucht zu Amida, und schon ist durch die unergründliche Gelübdekraft die Hingeburt von Seiten des Buddha her gesichert.

Rennyo begründet damit das Vorhergehende. Warum ist denn shinjin in der Jōdo Shinshū als Grundlage von allem zu betrachten? Warum nicht die Meditation, das Wallfahren oder das Holzhacken im Dienste von Rennyo? Warum sind diese Dinge, wenn sie überhaupt wichtig sind, nicht die Grundlage (hon)?

Nun muss das Grundgelübde (hongan) erwähnt werden. Der Grund, warum shinjin die Grundlage von allem ist, ist das Grundgelübde. Es findet sich in den meisten Rennyo-Briefen in der Mitte. „… durch die unergründliche Gelübdekraft ist die Hingeburt von Seiten des Buddha gesichert.“

Die Sicherheit kommt von Seiten des Buddha, nicht von Seiten des Menschen. Dies erinnert an das Klippengleichnis aus Seikaku Hōins Yuishinshō: ein starke Person steht oberhalb der Klippe und zieht den unten stehenden Menschen empor. Der untere muss also keine eigene Kraft zur Besteigung der Klippe aufwenden. Der Buddha hat in seinem Gelübde geschworen, stark genug für diese Aufgabe zu werden und er hat das Gelübde erfüllt.

„man gibt die vermischten Übungen auf, nimmt mit einsgerichtetem Herzen Zuflucht zu Amida, und schon… ist man gesichert“

Wenn man hochgezogen wird, braucht man keinen Hammer und keine Steigeisen mehr – man kann diese Dinge wirklich wegwerfen, wenn man sich nur dem starken Menschen oben anvertraut.

Mit“ einsgerichtetem Herzen(一心isshin) Zuflucht nehmen“ bedeutet, sich ganz und gar dem Buddha Amida anvertrauen. Das Gegenteil wäre 二心futagokoro – sich mit zweifachen Herzen anvertrauen, also zwei Strategien gleichzeitg zu verfolgen. Man lässt sich hochziehen und hämmert gleichzeitg mit der Spitzhacke auf die Klippe ein. Das wäre paradox und zeigt, dass man nicht wirklich verstanden hat, was der Mann oben auf der Klippe wirklich vorhat.

Die Aufgabe der vermischten Übungen und die ausschließliche Zuflucht zu Amida erscheint manchmal wie eine Bedingung: als würde der Buddha nur den retten, der auch wirklich keinen Zazen macht oder heimlich eine Maitreya-Statue auf dem Altar stehen hat. Es ist sprachlich denkbar, dass Rennyo das so gemeint hat: „weil/wenn man die vermischten Übungen aufgeibt und sich eingerichtet Buddha Amida anvertraut, ist die Hingeburt gesichert“. Aber es ist auch nicht sehr wahrscheinlich. Die Handwerker, Bauern und Kaufleute, die unter Rennyos Zuhörer saßen, werden kaum viel Zazen-Erfahrung mitgebracht haben. Rennyo musste sie in diesem Punkt sicherlich nicht bremsen.

Eher scheint Rennyo sagen zu wollen, dass die reine Zufluchtnahme, die von allem forcierten eigenen Praktizieren absieht – und zwar ganz gleichgültig, ob es sich um ein forciertes Zazen oder ein forciertes Nembutsu handelt! – das diese Reine Zufluchtnahme mit der Rettung durch den Buddha vollkommen identisch ist.

Am besten liest man den Satz als einfache Feststellung: „Man gibt die vermischten Übungen auf, nimmt mit einsgerichtetem Herzen Zuflucht zu Amida, und schon ist durch die unergründliche Gelübdekraft die Hingeburt von Seiten des Buddha her gesichert.“ Ohne Wenn und Aber! Einfacher Indikativ! Das tue ich Das ist der ganze Weg, die Große Übung des Buddha, den Rennyo in einem Satz zusammenfasst. – Wir würden heute sagen: es ist die „Erfahrung“ des shinjin (womit wir leider alles wieder auf unser menschliches Minimalformat zusammenschrumpfen. Besser wäre es, wenn wir, wie Shinran und Rennyo es tun, über das Große Sūtra usw. sprechen würden, und nicht nur ständig über uns und unsere „Erfahrungen“.)

Die Erfahrung des shinjin, das „geschenkte Vertrauen“, ist die Grundlage aller Lehren der Jōdo Shinshū, die ganze Lehre in der Tradition Shinrans.

3. Man nennt dies "die Stufe jener Wesen, die beim ersten Erscheinen des Vertrauens die rechte Gewissheit erlangt haben".

Im Augenblick des ersten Vertrauens ist die Hingeburt gewiss. Wenn man sich voll und ganz dem Buddha Amida anvertraut, erfährt man die „Kraft des Grundgelübdes“ (Das ist im Wesentlichen die Lehre des Großen Sūtras, das Rennyo hier aber nicht erwähnt. Darüber schreibt er z.B. im Brief über das Erreichen des Vertrauensvollen Herzens) Die Hingeburt nach dem Tod ist dann sicher, und infolgedessen tritt man durch den ersten Augenblick des Vertrauens in die „Schar der vollkommen Gesicherten“ – man wir also auf keinen Fall mehr abstürzen. Es mag auf der Ebene wo wir uns befinden, in der „irdischen Welt“, zugehen wie es will, aber das Seil, mit dem Buddha Amida uns ins Reine Land zieht, ist schon um unseren Bauch, sobald shinjin erlangt ist.

Was Rennyo hier nicht erwähnt, sondern aus Kürze übergeht, ist die Situation der Wesen, die die verschiedenen Übungen nicht aufgeben, oder das Nembutsu aus eigener Kraft üben wollen. Sie sind in der Redeweise Shinrans „falsch Gesicherte“ oder „schlecht Gesicherte“.

Das missfällt uns beim ersten Hören vielleicht. Warum soll einer, der über das Nembutsu hinaus eine Visualisation des Reinen Landes vollzieht, dafür „bestraft“ werden? Er hat vielleicht eine viel größere innere Erfahrung als einer der bloß äußerlich das Nembutsu spricht!

Darum dreht es sich hier aber nicht. Wer ohne innere innere Erfahrung ein Nembutsu spricht, rezitiert auf leere Weise. Ohne shinjin ist alles nichts – so lautet ja gerade die Hauptthese des Textes. Angenommen, man macht eine Visualisation oder eine tagelange Nembutsu-Rezitation, man probiert diese Dinge einfach nur aus, weil das zu einem Tempelstay-Programm gehört, und man auf der Suche nach religiöser Erfahrung nun eben das macht. In so einem Fall ist die Hingeburt nicht gesichert, solange das Vertrauen in den Buddha fehlt. Eine solche Tempelstay-Erfahrung ist sinnvoll, aber sie ist noch nicht der ganze Weg.

Wenn man aber shinjin erlangt hat, kann man Visualisationen machen so oft, wie man will, man kann auch den Namen rufen, so oft wie man will. Man kann tausendmal die Reines-Land-Sūtren rezitieren oder das Namo-Amida-Butsu so häufig kalligraphieren , dass nicht einmal der Honganji die ganzen Myōgō verteilen könnte. Niemand kann einem mehr die Hingeburt stehlen. Allerdings, und das ist eben das, was man verstanden haben muss, egal wie: man muss sich bewusst sein, dass ein einziges Nembutsu wirklich vollkommen ausreicht.

Wenn ein Nembutsu aber ausreicht, warum hört man nicht ganz mit dem Nembutsu auf. Hierfür hat Rennyo folgende Erklärung:

4. Jedes weitere Nembutsu der Namensanrufung soll man als Nembutsu der Dankbarkeit (hōjin) dafür verstehen, dass der Tathāgata unsere Hingeburt sichert.

報 hō -vergelten, zurückerstatten, danken – kennen wir vom Hōonkō-Fest, dem Fest der „Rückerstattung der Güte“. Im Ondokusan sagt Shinran selbst:

So groß ist Güte von Amidas Mitgefühl
dass wir sie vergelten (hō) sollten, bis selbst unser Körper zerbricht!
So groß ist die Güte der Meister und wahren Lehrer
dass wir ihnen danken sollten, bis selbst unsere Knochen zu Staub werden!

Das Wort Hōjin geht auf Hōnen zurück, der fordert, man solle bis zum Ende des Lebens in Dankbarkeit an die Güte des Buddha denken und unaufhörlich das Nembutsu rezitieren. Auch Rennyo denkt hier sicherlich an ein sehr oft gesprochenes Nembutsu als Zeichen der Dankbarkeit – nete mo samete mo shōmyō nebutsu subeki nari „im Wachen wie im Schlafen soll man Nembutsu üben“, heißt es in einem anderen Rennyo-Brief. Dieses akkumulierende Nembutsu ist uns heute ein bisschen fremd geworden, obwohl ich glaube, dass eine Wiederbelebung in unserem kleinen persönlichen Rahmen durchaus hilfreich ist. Niemand verbietet uns das Nembutsu zu sagen, solange wir mit uns allein sind. Niemand wird uns dann verspotten und dadurch schlechtes Karma ansammeln. Akkumulierendes Nembutsu ist gut gegen unseren Stolz: Wir können es gegen unsere schlechten Gedanken einsetzen, als eine Art Reue, aber auch Freude und Dankbarkeit damit begleiten. Ja, selbst wenn wir ein bonnō nicht überwinden können, ist das Nembutsu nie falsch.

Es gibt noch andere Formen der Rückerstattung des Dankes, die Rennyo hier der Kürze halber auslässt. In einem Kommentar zur Anjin rondai, der gegenwärtig maßgeblichen Dogamtik der Honganji-ha, des Kangaku Aiji Nadamoto lesen wir unter dem Schlagwort Shōmyō hōon „Die Namensrezitation ist Dankbarkeit“:

 称名は報謝行の本になりますが、報謝行は称名だけではありません。「自信教人信」も報謝行であり、信をいただいた上からは、同類の助業(じょごう)、すなわち阿弥陀仏の法を説く経典(浄土三部経)を読誦すること、阿弥陀仏の徳を心に思うこと、阿弥陀仏を礼拝すること、阿弥陀仏を讃嘆供養することも報謝行であります。更には異類の助業、すなわちひろくよい行いをさせていただき、わるい行いをつつしむことも、すべて報謝行となります。そのように報謝行をさせていただくことも信心の得益とされるところに他力真宗の特色があります。現生十益の中に「知恩報徳の益」(真聖全二―七二)があげられているのは、その意味であります。(『やさしい 安心論題の話』(灘本愛慈著)p240~)

Die Namensrezitation ist die Grundlage der Dankbarkeitspraxis, aber die Dankbarkeitsübung ist nicht nur die Namensrezitation. „Vertraue selbst und lehre andere Menschen zu vertrauen!“ – Auch das ist eine Dankbarkeitsübung. Wenn man das Vertrauen empfangen hat, gibt es unterstützende Übungen gleicher Art, nämlich das Erklären der Amida-Lehre, das Rezitieren der Sutren (insbesondere der Reines-Land-Sūtren), das Denken an die Verdienste Buddha Amidas, die Verehrung des Buddha Amida, das Preisen und die Opfergabe vor dem Buddha Amida. Außerdem gibt es unterstützende Übungen anderer Art, nämlich, wenn einem vergönnt ist, Gutes zu tun, Schlechtes zu verabscheuen. Solche Dankbarkeitsübungen sind als Nutzen bzw. Segen (benefit), der aus dem Vertrauen entsteht, zu betrachten. Dies ist die Bedeutung vom „Nutzen des Wissens um die Güte und der Dankbarkeit für Amidas Verdienste“, einer der zehn Segnungen des gegenwärtigen Lebens. (siehe CWS p.112, Nr.8 “the benefit of being aware of Amida’s benevolence and of responding in gratitude to his virtue”)