Allgemein

Gedanken zum Nenbutsu und die „Zen-Peitsche“

von Meik Nörling

Während unserer Zen-Retreats (Sesshin) im Butsugenji lese ich in den Pausen häufig ein oder zwei der kurzen Dharma-Erbauungen in Yunqi Zhuhong’s „Die Zen-Peitsche“. Yunqi Zhuhong (1535-1615) gilt im chinesischen Buddhismus sowohl als Patriarch des Zen als auch des Reinen Landes. Seine „Zen-Peitsche“ hatte maßgeblichen Einfluss auf den japanischen Zen-Meister Hakuin Ekaku, der sie stets bei sich trug. Ebenso wie viele Zen-Meister der chinesischen Ming-Ära verwendete auch Yunqi – anders als Hakuin! – das Nenbutsu als gedanklichen Fokus während des Zazen und belehrte auch seine Schüler entsprechend. Das Nenbutsu ist folglich Gegenstand vieler der kurzen Texte in der „Zen-Peitsche“. In Japan wurde dieses „Nenbutsu-Zen“ von den etablierten Meistern der Sōtō Shū und der Rinzai Shū größtenteils abgelehnt, fand aber im 17. Jh. auch dort mit der Ōbaku Shū seine Anhängerschaft. Ich kann nicht sagen, dass ich Nenbutsu-Zen übe, aber das erneute Lesen in der „Zen-Peitsche“ während des Sesshin zu Nehan-e (Fest zum Gedenken an den Todestag des Buddha, jährlich am 15. Februar begangen) bewegte mich dann doch dazu, über das Nenbutsu selbst einmal etwas mehr nachzudenken.

Das Wort „Nenbutsu“ [念佛 oder 念仏, manche sagen auch „Nembutsu“, besteht aus den beiden Wörtern „nen“ 念 und „butsu“ 佛, vereinfacht 仏. Butsu ist schlicht das japanische Wort für Buddha. Nen ist da schon schwieriger zu übersetzen.

Als Nomen kann Nen als „Gefühl“ oder „Sinn“ (im Sinne von „Wahrnehmung“) übersetzt werden. Im buddhistischen Kontext kann es auch die Bedeutung von „Augenblick“, „Moment“, „Gedanke“ oder „Gedankenmoment“ annehmen, oder es kann mit „Gegenwart“ (im Sinne von „Hier-und-Jetzt“) übersetzt werden.

So hätte Nenbutsu eine ganze Bandbreite von Interpretationen: „Den Buddha wahrnehmen“, „An den Buddha denken“, „Den Buddha vergegenwärtigen“, „Sich der Gegenwart Buddhas bewusst sein“ oder auch „Dem Buddha im Hier-und-Jetzt begegnen“. Im japanischen Buddhismus und insbesondere in der Jōdo Shinshū wird Nenbutsu zumeist spezieller umschrieben mit: „Den (Namen des) Buddha anrufen“. Obwohl man weiß, dass anfänglich eher von Meditation und Kontemplation im Sinne von „bewusst-maschen“ oder „vergegenwärtigen“ die Rede war, wenn die Menschen „Nenbutsu machten“, so wird heute doch zumeist an das, oftmals formelle oder gar ritualisierte, Aussprechen von „Namo-Amida-Butsu!“ oder „Namandabu!“ gedacht, wenn es ums „Nenbutsu machen“ geht.

Auch schon bei Yunqi ist mit Nenbutsu schlicht das (wenn auch bei der Sitzmeditation nur gedankliche) Aussprechen von „Namo-Amida-Butsu!“ gemeint. So gibt er beispielsweise den Ratschlag:

Beim Gehen, Stehen, Sitzen und Liegen erlaubt dem Nembutsu keine Unterbrechung. Ihr müsst Vertrauen haben in „Wenn die Ursache tiefgründig ist, dann ist es auch die Wirkung“. Dies schafft eine Situation, in der ihr – ohne euch besonders darum zu bemühen – spontan Nembutsu ausübt. Wenn ihr durchgehend Nembutsu auf Nembutsu vollziehen könnt, dann ist gesichert, dass das Nembutsu ins Einssein verschmilzt. Wenn ihr, während ihr Nembutsu macht, die Person, die es ausübt, bei lebendigem Leibe fasst, werden sich Amitâbha und „Ich“ als eins manifestieren.

(Nebenbemerkung: Mir ist durchaus bewusst, dass die chinesischen Meister nicht von „Nenbutsu“ sprachen, sondern von „Niénfō“. Sie sagten auch nicht „Namo-Amida-Butsu!“ oder „Namandabu!“, sondern „Namo-Ōmitō-Fō!“ oder ähnlich.)

An anderer Stelle schreibt Meister Yunqi dann:

Lehrer Youtan gab Schülern das Schlüsselwort: „Wer übt das Nenbutsu?“ Gegenwärtig müsst ihr diese Methode nicht anwenden, übt einfach das gewöhnliche Nembutsu. Wenn ihr es nie aus den Gedanken verliert, werdet ihr aus eurer Begegnung mit Sinnesobjekten plötzlich einen Vers über die Umwandlung der Grundlage, euer Erwachen, gewinnen. Dann versteht ihr zum ersten Mal, dass das Reine Land der Stille und des Lichts nicht von diesem Ort getrennt ist und Amitābha Buddha sich nicht jenseits der Grenzen eures eigenen Geistes befindet.

Die Sichtweisen, dass Amida Buddha nicht außerhalb des eigenen Geistes zu finden ist, und dass man durch das eigene Handeln – die Eigene Kraft – den Buddha bzw. seine Gegenwart manifestieren könnte, widersprechen natürlich fundamental den traditionellen Konzepten des Shin-Buddhismus.

Und doch finde ich es auch als Shin-Buddhist beachtlich, dass die chinesischen Meister der Ming-Zeit – nicht nur Yunqi! – die Wirksamkeit des schlichten aber kontinuierlichen und wiederholten Aussprechens von „Namo-Amida-Butsu!“ so sehr betonten!

Ich möchte diesen ersten Teil meiner Gedanken zum Nenbutsu mit einem Ausspruch von Shinran’s Lehrer Hônen Shonin beschließen, den ich beim abschließenden zweiten Teil dann nochmal aufgreifen will:

Wenn du das Nenbutsu achtlos sagst, weil gelehrt wird, dass die Geburt mit nur einer oder zehn Äußerungen erreicht wird, dann behindert der vertrauensvolle Glaube die Praxis.

Wenn du meinst, dass eine einzige oder zehn Äußerungen ohne Bedeutung sind, weil gelehrt wird, dass du den Namen sagen sollst „ohne dies auch nur für einen Moment zu unterbrechen“, dann behindert die Praxis den vertrauensvollen Glauben.

Was deinen vertrauensvollen Glauben anbetrifft: Geh davon aus, dass die Geburt durch ein einziges Äußern erreicht wird.

Was deine Praxis anbetrifft: Bemühe dich um das Nenbutsu das ganze Leben lang.“ (aus dem Buch „Buddhismus krass“, Nummer 26)

Myogo-Kalligraphie („Namo-Amida-Butsu“) vom Erzabt des Zen-Klosters Nanzenji in Kyoto, im Besitz des Eko-Haus.

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert