Gedanken zu Buddha
von Meik Nörling
„Was ist Buddha?“ – „Die Zypresse dort im Klostergarten!“ (Um nicht zu sagen: „Ein Kotspachtel!“)
Solche Dialoge alter chinesischer Zen-Meister finden sich in einigen der berühmten Koan-Sammlungen, die im Rinzai-Zen während und jenseits des sitZens durchgekaut werden. Aber wer oder was ist denn nun eigentlich „Buddha“? – Da gibt es verschiedene Sichtweisen und Ansätze…
Zunächst wird als Buddha der historische Buddha, also ein Mensch mit Namen Siddhartha Gautama aus dem Shakya-Clan bezeichnet, der die „Erleuchtung“ bzw. das „Große Erwachen“ verwirklicht haben soll und deshalb mit der Bezeichnung „Buddha“ – „der Erwachte“ – betitelt wurde und wird. Laut Wikipedia wurde Siddhartha Gautama 563 v. Chr. als adliger Prinz im Wald von Lumbini nahe Kapilavastu im heutigen südlichen Nepal geboren, hatte mit etwa 35 Jahren als wandernder Asket seine große Erleuchtungserfahrung in einem Wald bei Gaya im heutigen indischen Bundesstaat Bihar und starb im Jahr 483 v. Chr. in einem Wald bei Kushinagar in Uttar Pradesh. Nach seiner Erleuchtung machte er seine Erkenntnisse und Erfahrungen öffentlich, gründete einen Mönchs- und einen Nonnenorden sowie mehrere Gemeinschaften und predigte bis zu seinem Tode seine Lehre (Dharma). Er wird auch als Buddha Shakyamuni bezeichnet. „Shakyamuni“ bedeutet „der Weise aus dem Clan der Shakya“.
Der Mahayana-Buddhismus kennt das Konzept der Drei Körper des Buddha (Trikaya-Lehre). Hier wird zwischen Dharmakaya (Dharma- oder Weisheitskörper), Sambogakaya (Freudenkörper oder Segenskörper) und Nirmanakaya (Manifestations- oder physischer Körper) unterschieden.
Der Dharmakaya gilt als Buddha in seiner tatsächlichen formlosen Gestalt. Dieser wird auch als höchste Wahrheit, als das Absolute oder die letztliche Wirklichkeit angesehen. Der Dharmakaya-Buddha wird zwar bildlich dargestellt und ihm wurden auch verschiedenen Namen gegeben, er ist dann aber eher als Metapher oder Gleichnis anzusehen, quasi als Ausdruck des unpersönlichen Absoluten.
Einen Sambogakaya-Buddha könnte man sich als personifizierte, überweltliche Erscheinung des Dharmakaya vorstellen. Er ist kein Teil unserer gewöhnlichen, physischen „Realität“ und kann doch Einfluss auf sie haben und segensreich auf sie wirken. Sehr bekannte Sambogakaya-Buddhas sind der Buddha Amida und der Buddha Medizinkönig in ihren Reinen Buddha-Gefilden im Westen und Osten.
In der Trikaya-Lehre ist Shakyamuni Buddha der Archetyp des Nirmanakaya, also der Buddha, der sich physisch in unserer profanen Welt verkörperte und in die Geschichte eintrat. Viele Anhänger des Mantrayana (Vajrayana) würden auch erleuchtete Meister wie Padmasambhava (Guru Rinpoche) oder Kobo Daishi Kukai als Nirmanakaya-Buddhas ansehen.
Schon in den alten Suttas des Pali-Kanon sind die körperlichen und sonstigen Merkmale eines (Nirmanakaya-) Buddha aufgelistet – es soll 32 Große Merkmale geben und 80 Kleinere Merkmale. Im Theravada-Buddhismus dienen diese Merkmale als Beschreibung des historischen Buddha und später dann auch, um diesen bildlich darzustellen. Im Mahayana gelten sie als Merkmale, die zumindest der Erscheinung eines Sambogakaya-Buddha zu eigen sind, während der Nirmanakaya-Buddha hier wie ein gewöhnlicher Mensch erscheinen könnte.
Die chinesische Tiantai-zong (jap. Tendai Shū, also Tiantai- oder Tendai-Schule) und der aus ihr hervorgegangene Nichiren-Buddhismus kennen das Konzept der Zehn Welten oder zehn Lebenszustände, welche die Sechs Daseinsbereiche und die vier höheren Daseinsbereiche Shravaka, Pratyeka-Buddha, Bodhisattva und Buddha umfassen. Das in diesen Traditionen etablierte Prinzip Ichinen Sanzen besagt, dass „Dreitausend Welten in einem einzigen Gedankenmoment enthalten sind“ und umgekehrt. So wird dann „Buddha“ zu einem Lebenszustand, dessen Aspekte immer zu einem gewissen Teil gegenwärtig sind. Sogar im (geistigen) Zustand des Ärgers („Asuras/Titanen/Halbgötter“) oder des Leids („Hölle“) ist der Aspekt der Erleuchtung („Buddhaschaft“) enthalten, mehr oder weniger, und sei es ab und an auch nur als Potential. Ein Mensch, der sich überwiegend im Lebenszustand der Erleuchtung befindet, kann somit als „Buddha“ angesehen und bezeichnet werden.
Sowohl das Lotus-Sutra als auch das Nirvana-Sutra propagieren die jedem Wesen innewohnende „Buddha-Natur“, also das Potential eines jeden, selbst Buddha zu werden. So schreibt etwa der ehemalige Präsident der Soka Gakkai in einem seiner Bücher: „Der Buddha, das bist du!“
Das japanische Mantrayana der Shingon Shū kennt das Phänomen Sokushinbutsu, das „Erlangen der Buddhaschaft im gegenwärtigen Körper“. Hierbei handelt es sich insbesondere auch um ein langwidriges Ritual der Selbstmumifizierung, bei dem die betreffenden Asketen durch körperliche Übungen und eine spezielle Diät später in der Lotus-Haltung sterben und nicht mehr verwesen, zumal sie dann nur noch aus Haut und Knochen bestehen. Diese Praxis und eine Mitwirkung daran ist mittlerweile in Japan verboten! Bei zweien meiner Pilgerschaften in Japan habe ich diese selbstmumifizierten Leichname, die gewordenen Buddha-Körper, mit eigenen Augen in verschiedenen Shingon-Tempeln in der Provinz Niigata sehen können. Auch einigen japanischen Heiligen, insbesondere Kobo Daishi Kukai und Dengyo Daishi Saicho, wird nachgesagt, dass sie nach ihrem Tod in Meditationshaltung verblieben und noch immer in „ewiger Meditation“ zum Wohle der Menschheit verweilen. In ihren Mausoleen wird diesen Heiligen auch heute noch täglich Essen aufgetischt.
Im Zen sieht man die Patriarchen, also die Dharma-Vorfahren mit denen man durch eine direkte Lehrer-und-Schüler-Linie, von Buddha Shakyamuni bis heute, verbunden ist, mitunter auch als Buddhas an. So werden berühmte chinesische Meister wie Joshu (Zhaozhou Congshen) oder Unmon (Yunmen Wenyan) häufig auch mit „der Alte Buddha“ betitelt oder umschrieben.
Amida Buddha wird in den „Drei Sutras des Reinen Landes“ als absolute Wesenheit dargestellt. Der indische Patriarch Nagarjuna beschreibt ihn detailliert in seinem kurzen Text „Die Zwölf Verse der Verehrung“ (Junirai), welcher auch in unserem roten Andachtsbuch, Shinshu Gongyoshu, abgedruckt ist (ab Seite 58). Setzt man gedanklich die dort beschriebenen Eigenschaften als definierend für einen Buddha an, dann muss man sich die Frage gefallen lassen, ob so etwas wie die Buddhaschaft denn überhaupt von einem Menschen verwirklicht werden könnte…?
Shinran Shonin schreibt in einer seiner Hymnen (Wasan): „Amida, der seit unendlichen Zeiten existierende Buddha, hatte Erbarmen mit uns gewöhnlichen Narren in der Welt der ‚Fünf Entartungen‚ und erschien deshalb in der Hauptstadt von Gaya, sich selbst als Shakyamuni Buddha offenbarend.“ Für Shinran war der historische Buddha Shakyamuni eine weltliche Verkörperung von Buddha Amida und seine Kernaufgabe war es, die „Drei Sutras des Reinen Landes“ zu offenbaren.
Dogen Zenji schreibt hingegen in seinem „Shobogenzo-Shoji“, dass es einen einfachen Weg gäbe, Buddha zu werden: „Tu‘ nichts Schlechtes, halte nicht an Leben-und-Tod fest, habe tiefes Mitgefühl mit allem Lebenden, respektiere die über dir und nimm dich der unter dir an, hege gegen nichts Abscheu, berge keine Wünsche in deinem Herz, trage dich nicht mit Gedanken und mache dir keine Sorgen. Das nennt man einen Buddha. Suche nach nichts anderem.“
Das sind nur einige von zahlreichen Konzepten und Sichtweisen, die hier keinesfalls abschließend aufgezählt werden können. Was ist dann aber wirklich „Buddha“, wer ist „Buddha“? Gibt es eine „authentische“ Sichtweise, darauf, was oder wer Buddha ist und was oder wer nicht?
Zen-Meister Rinzai (Linji Yixuan) sagt: „Und wenn dir unterwegs der Buddha begegnet, dann töte ihn!“ Im Allgemeinen wird dieser Ausspruch nicht als Aufruf zum Buddha-Mord gedeutet, sondern dahingehend, dass man es ablehnen und tunlichst vermeiden sollte, sich eine fixe Idee oder ein Konzept darüber zu machen, was ein Buddha ist (und was nicht).
Und so sollte und muss meine Antwort auf die Frage „Was ist Buddha?“ dann auch letztlich lauten: „Ich weiß es nicht“.


