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Buchvorstellung: „Common Ground“ – ein Blick auf den Buddhismus und auch Jodo Shinshu von dem islamischen Gelehrten Reza Shah-Kazemi

von Tobias Trapp

Seyyed Reza Shah-Kazemi ist Islamwissenschaftler am Institute of Ismaili Studies in London mit dem Arbeitsschwerpunkt vergleichender Mystizismus, insbesondere im Sufismus und Schiitentum. Sein Buch „A Common Ground“ begann als ein Konferenzbeitrag, der SH dem Dalai Lama vorgelegt wurde. Dieser las den Beitrag, ermunterte zu einer weiteren Ausarbeitung zu einem Buch und schrieb in einem Vorwort: “Meine muslimischen Freunde haben mir erklärt, dass die gläubigen Muslime sich dem Ideal des universellen Mitgefühls vollständig unterwerfen, da Gott als barmherzig und gnädig beschrieben wird. Auf diese Weise kann Gottes Barmherzigkeit durch die Handlungen der Gläubigen fließen. Eine solche Praxis ist eindeutig ein Weg zur Läuterung des Geistes und scheint eine Parallele zu dem zu sein, was der Buddha selbst über die Bedeutung eines mitfühlenden, ethischen Lebens sagte. Aus buddhistischer Sicht ist die Praxis des Islam also offensichtlich ein spiritueller Weg der Erlösung.”  Umgekehrt war es das Ziel des Autors, dass auch islamische Gelehrte trotz der gewaltigen Unterschiede in Doktrinen und Ritualen anerkennen, das auf der Basis von Ma’rifa, der spirituellen Weisheit, es doch Ähnlichkeiten und Resonanzen gibt, so dass der Respekt von Musliminnen und Muslimen vor dem Buddhismus wächst. 

Ich befürchte, dass dieses Projekt in einem gewissen Sinn gescheitert ist, da das Buch viel zu wenig Beachtung gefunden hat. Dennoch oder besser, gerade deswegen, will ich es kurz vorstellen. Ich glaube, dass das Buch viel über die islamische Mystik lehrt, aber auch Verbindungen aufzeigt, die vielleicht nicht offensichtlich sind. Ich glaube ebenso, dass das Buch helfen kann, dass wir Interessierten Musliminnen und Muslimen besser erklären können, was Buddhismus eigentlich ist. Insofern leistet das Buch einen unschätzbaren Wert zum interreligiösen Dialog.

Ich glaube, dass Begegnungen zwischen Religionen möglich sind, wenn sie auf der Begegnung von spirituellen Weisheitslehren stattfinden. Der Grund ist, dass die Theologien und Dharmologien doch sehr unterschiedlich sind: Der Buddhismus kennt keinen allmächtigen Schöpfergott, der sich göttlich offenbart und Menschen richtet. Aber auf der Ebene der Mystik, in denen Erfahrungen mit dem Absoluten oft poetisch angedeutet werden, sind Näherungen möglich. Eine Herausforderung ist, bei der Betrachtung der Gemeinsamkeiten die Unterschiede nicht verwischen zu lassen. Gerade zeitgenössischen Übersetzungen des persischen Sufi-Mystikers Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī wird vorgeworfen, dass sie jede Erwähnung des Islam vermeiden und das Wort Allāh gar nicht mehr auftaucht.

Der Autor des Buches geht einen völlig anderen Weg. Er vergleicht unter anderem verschiedene Prinzipien, die in beiden Religionen vorhanden sind. Das Buch geht auf 170 Seiten auf die verschiedenen Strömungen des Buddhismus ein: Theravada, Vajrayana und den einzelnen Richtungen des Mahayana wie Madhyamaka, Yogacara, Chan, aber auch der Reine-Land-Buddhismus kommt zur Erwähnung. 

Dharma umfasst mehrere Bedeutungen, darunter Lehre, Norm, Gesetz, Wahrheit und Wirklichkeit und hat nach Ausführung des Autoren die nächste Entsprechung von al-Haqq im Islam. Al-Haqq ist die ultimative Wahrheit, die absolute Realität und die Quelle der Gnade und Führung für die Menschen. Dabei ist das Ausüben von Mitgefühl und Barmherzigkeit zentral: Karunā (liebendes Mitgefühl) ist ein nahes Äquivalent von Rahmah in Islam. Beide bedeuten  einerseits Teilhabe am Leiden anderer und ebenso etwas, das im Bewusstsein des Absoluten verwurzelt ist. Er vergleicht auch Tanhā (Verlangen, Durst) und Hawā (starkes, unkontrollierbares Verlangen); und zwischen Anattā (keine Seele) und Fanā‘ (Auslöschung des Selbst). Damit ist die Notwendigkeit der Loslösung von der Welt, vom Ego und seinen leidenschaftlichen Begierden gemeint, 

Ein weiteres verbindendes Element ist der Glaube an die Wirksamkeit und Notwendigkeit spiritueller Praxis, sei es in Form von Gebet, kontemplativer Meditation oder methodischer Anrufung des Namens. Der Autor erklärt, dass ein wesentlicher Akt der Anbetung das Bewusstsein des Absoluten ist, Dhikr Allāh genannt. Das arabische Wort Dhikr umfasst zwei wesentliche Bedeutungen, nämlich die des die des Gedenkens und die der Anrufung; es bezieht sich also sowohl auf das Ziel und das Mittel: sowohl das Prinzip des ständigen Bewusstseins des Absoluten als auch auf die Mittel, dieses Bewusstsein zu verwirklichen. Dieses Mittel der Verwirklichung konzentriert sich auf die methodische Anrufung des Namens (oder der Namen) Gottes, und ganz besonders des höchsten Gottesnamens Gottes im Islam, Allāh.

Der Autor sieht hier also nicht nur eine formale Ähnlichkeit in der Praxis des Rezitierens des Namens von Amitabha sondern stellt fest:

In Anbetracht unserer früheren Diskussion über die „Körper“ des Buddha sollte klar sein, dass das, was angerufen wird, nicht die menschliche Form des Buddha ist, sondern „Amitābha“ als solcher, das heißt: unendliches Licht, das aus dem Absoluten hervor strömt, ein Licht, das sowohl erleuchtet als auch rettet. Es ist also so, als ob die beiden göttlichen Namen, al-Nūr („Das Licht“) und al-Rahīm („Der Barmherzige“) zu einem einzigen Namen zusammengefasst und angerufen würden. (Oder drei, einschließlich al-Hayy, dem ewig Lebenden, wenn wir die Amitāyus-Dimension von Amitābha einbeziehen.)

Common Ground, Seite 65 (Übersetzung des Rezensenten)

Er fährt fort:

Auch das Gelübde von Amida, erst dann in die Erleuchtung einzutreten, bis alle Wesen gerettet sind, kann in Begriffen von universellen Prinzipien verstanden werden. Abstrahiert vom mythologischen Gewand könnte man sagen: „Amida ist … das Herz unserer Herzen. Er ist das Alles-Fühlende Mitfühlende Herz … Amida ist der Ewige Erlösende Wille, das ewig wirkende Ursprüngliche Gelübde.“ Dieses mitfühlende „Gelübde“ – normalerweise als Gelübde ausgedrückt, nicht in die endgültige Erleuchtung einzutreten, bis alle Wesen gerettet sind, kann als Analogie zu der Metapher gesehen werden, die Gott im Qur’ān verwendet, um seine Barmherzigkeit zu beschreiben: „Dein Herr hat Barmherzigkeit geschrieben auf Sein eigenes Selbst geschrieben.“ (6:12) In diesem Zusammenhang ist auch der folgende Vers zu erwähnen: „Ruft Allāh an oder ruft al-Rahmān (den ‚Allbarmherzigen‘) an“. (17:110) Man sieht hier, dass die eigentliche Natur des Absoluten das rettende Mitgefühl ist; die Anrufung des „Namens“ des Absoluten ist somit absolut erlösend.

Common Ground, Seite 66f. (Übersetzung des Rezensenten und der Redaktion)

Zusammengefasst schreibt er:

Die Praxis des Nembutsu (Verehrung des himmlischen Buddhas) beruht auf der Macht des absolut Anderen oder Tariki (Hingabe des eigenen Willens an den dem Ewig Anderen), was der islamischen Lehre von Tawakkul (Vertrauen in Gott) entspricht.

Dem Autor ist bewusst, dass die Lehren des Shin-Buddhismus sich von den Lehren anderer buddhistischer Strömungen unterscheiden. Die Behandlung mit den Lehren von Honen und Jodo Shin Shu nimmt auch nur einen kleinen Teil des Buchs ein. Er diskutiert aber viele dieser Aspekte in seinem Vortrag auf YouTube.

Das Buch “Common Ground Between Islam and Buddhism” von Reza Shah Kazemi ist im Buchhandel zu bestellen und kann auch als PDF heruntergeladen werden.

Es wurde auch in andere Sprachen übersetzt: Link

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