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„Das Nenbutsu ist quasi immer dabei.“ – Bei der Jodo Shu nachgefragt

Es gibt viele Traditionen im Buddhismus des Reinen Landes. Wir haben bei Reverend Kōnen von der Jodo-Buddhistischen Gemeinschaft e.V. / Nenbutsu-Praxisgruppe der Hōnen-Tradition nachgefragt.

Kannst du dich kurz vorstellen, wer du bist, was du machst?

Mein Ordensname ist Kōnen. Ich bin ordinierter Mönch der Jōdo Shū, verheiratet und arbeite beruflich in einer japanischen Firma. Meine Tätigkeit als Mönch ist ehrenamtlich. Seit 2020 bin ich von der Jōdo Shū nominierter bzw. „ehrenamtlich angestellter“ Assistenzpriester am Jōdo Shū European Buddhism Center in Frankreich.

Könntest du deinen buddhistischen Werdegang kurz umreißen?

Ich bin Buddhist seit über 35 Jahren, habe während meines Auslandsstudiums in Japan vor ca. 29 Jahren dort regelmäßig Zazen praktiziert und vor ca. 8-9 Jahren zur Jōdo Shū gefunden. Nachdem unser Oberpriester am Jōdo Shū European Buddhism Center mich 2017 als seinen Schüler angenommen hat und mich ausbildete, hatte ich 2019 meine Ordination (Tokudoshiki) am Tempel Zōjōji in Tokyo, einem der Haupttempel der Jōdo Shū. Neben meiner Nomination als Assistenzpriester in unserem Zentrum in Frankreich bin ich im Vorstand der Jodo-Buddhistischen Gemeinschaft e.V. in Deutschland.

Kannst Du ein paar Takte zur Jōdo Shū sagen – vielleicht zu Mitgliederzahlen in Japan und global, wie heißt euer Haupttempel und wo liegt er, wer ist momentan euer Oberhaupt und in welcher Position?

Meines Wissens hat die Jōdo Shū in Japan etwa 8 Millionen Mitglieder, ca. 10.000 Mönche und Nonnen und ca. 7.000 Tempel. Der Haupttempel ist der Chion-in in Kyoto. Wir haben ein zeremonielles und ein administratives Oberhaupt (Generalsekretär). Der momentane Generalsekretär heißt Herr Kawanaka und ist 2024 in seinem Amt bestätigt (wiedergewählt) worden. Außerhalb Japans gibt es die größten Sanghas in Hawaii (mehrere Tempel auf verschiedenen Inseln), die gerade ihr 125jähriges Jubiläum feierte, und in Brasilien, sowie kleinere Sanghas in Australien, Europa, Indien und Nepal. Die Jōdo Shū in Japan hat gerade ihr 850jähriges Gründungsjubiläum gefeiert. Aus diesem Anlass gab es im Oktober 2023 das erste „Hōnen World Meeting“ in Kyoto, bei dem Mitglieder der Übersee-Sanghas erstmals zusammen kamen.

Wie sieht die aktuelle Situation der Jōdo Shū in Deutschland bzw. Europa aus?

Seit ca. 15 Jahren gibt es unseren Jōdo Shū European Buddhism Center in Frankreich (etwa 100 km westlich von Paris in der Normandie). Die französische Sangha trifft sich einmal im Monat in Paris. Die meisten Mitglieder sind Japaner:innen, die in Paris und Umgebung leben. 2020 gründete sich eine kleine Sangha in Deutschland, die mittlerweile auch Mitglieder aus verschiedenen Ländern Europas hat (Niederlande, Vereinigtes Königreich, Italien, Schweiz). Die Sangha wurde 2024 als gemeinnütziger eingetragener Verein („Jodo-Buddhistische Gemeinschaft e.V.“) registriert. Treffen und Veranstaltungen („Monday Night Nenbutsu“ jeden Montag Abend, Einführungskurse, Zeremonien etc.) finden aufgrund der verstreuten Wohnorte der Mitglieder meistens online (per Videokonferenz) statt. Ein- bis zweimal im Jahr werden Präsenztreffen organisiert: im November 2023 in Bonn, im Oktober 2024 in Frankreich. Für September 2025 ist das Jahrestreffen in der Nähe von Köln geplant.

Wie kann ich mir eine traditionelle Andacht der Jōdo Shū vorstellen, welchen Inhalt hat die?

Der Ablauf des „Otsutome“ („Alltagsritual“) der Jōdo Shū ist grob eingeteilt: Vers der Reinigung durch Räucherwerk, Zufluchtsvers zu den Drei Schätzen, Einladung an die Buddhas und Bodhisattvas an den Dōjō, Vers der Reue, Sutrenrezitation. Dann folgt der Hauptteil: die mehrfache Nenbutsu-Rezitation („Nenbutsu-Ichie“), Widmung, Niederwerfung, Verabschiedung der Buddhas und Bodhisattvas, gemeinsames Jūnen („zehnfaches Nenbutsu“). Dieses Grundritual wird bei Zeremonien je nach Anlass ergänzt oder variiert (z.B. andere Sutren oder Sutrenpassagen).

Das Alltagsritual wurde erst nach Hōnen Shōnins Tod von seinen Nachfolgern entwickelt und beinhaltet die „Fünf Rechten Übungen“ gemäß Hōnens Hauptwerk Senchaku Hongan Nenbutsu-shū: Sutrenrezitation, Verehrung Amida Buddhas (durch Niederwerfung), Darbringung von Opfergaben (Räucherwerk, Wasser, Lebensmittel) und Kontemplation (durch die rezitierten Verse). Diese vier Übungen sollen zum einen unsere Beziehung zu Amida Buddha vertiefen und dabei die fünfte und wichtigste Übung, die Nenbutsu-Rezitation, unterstützen (die von Hōnen als einzig relevante Übung für unsere Geburt ins Reine Land betrachtet wurde).

In der Jōdo Shinshū wird das Ausüben von Meditation von einigen Lehrern recht kritisch gesehen. Übst Du klassische Sitz-Meditation und wie steht die Jōdo Shū im Allgemeinen dazu?

Ich praktiziere ausschließlich das Nenbutsu und das Otsutome/Alltagsritual. Meditation im Sinne der japanischen „Meisō“ oder „Zenjo“ wird bei uns nicht ausgeübt (obwohl es wohl einige Mitglieder gibt, die neben Nenbutsu auch Zazen praktizieren – das ist jedem/r selbst überlassen). Nach der Lehre der Jōdo Shū ist nur die Nenbutsu-Rezitation ausschlaggebend für unser Ōjō (Geburt ins Reine Land). Wir erreichen durch die Nenbutsu-Rezitation manchmal – auf natürliche Weise – das sogenannte „Nenbutsu-sanmai“ („Nenbutsu-Samadhi“), eine Art Versenkung.

Stille Sitz-Meditation, wie sie meistens im Westen verstanden und ausgeübt wird, ist für uns eine Möglichkeit der Entspannung, aber irrelevant in religiös-spiritueller Hinsicht. Siehe hierzu auch Hōnens „Ichimai Kishōmon“, das „Vermächtnis auf einem Blatt“, wo er sich z.B. ganz deutlich vom visuell-kontemplativen Nenbutsu („Kansō Nenbutsu“) abgrenzt. Natürlich respektieren wir aber jede Tradition und jeden Menschen, der für sich Meditation als buddhistische Praxis als passend empfindet.

Wie sieht Deine persönliche Praxis aus? Hältst Du Andachten vor dem Butsudan, meditierst Du regelmäßig, sprichst Du auch mal so das Nenbutsu?

Ich selbst spreche das Nenbutsu den ganzen Tag über in verschiedenen Situationen. Angefangen beim Nenbutsu vor dem Butsudan, geht es unter der Dusche weiter, im Büro (wenn ich alleine bin), beim Spazierengehen (leise). Beim Autofahren singe ich das Nenbutsu manchmal auch in der Melodie bekannter Lieder, die im Radio laufen (z.B. „September“ von Earth, Wind & Fire passt vom Rhythmus ganz gut). Ich spreche das Nenbutsu aber auch in bestimmten emotionalen Situationen: aus Freude, wenn Bekannte ein Kind bekommen haben, aus Traurigkeit, wenn jemand gestorben ist, aus Wut heraus, wenn mich etwas ärgert – das Nenbutsu hat dann auch den Nebeneffekt, dass man nach einer Weile des Rezitierens wieder gut zur Ruhe kommt – und immer, wenn mir ansonsten die passenden Worte fehlen.

Das Nenbutsu ist quasi immer dabei – das ist für mich mein „Leben im Nenbutsu“. Dann brauche ich auch keine stille Meditation. Aber, wie gesagt, das muss jeder Mensch für sich persönlich entdecken und entscheiden.

Zojoji Honden, große Halle
Am Chion-in, ganz oben am Gobyo (Honens kleine Gedenkhalle). 

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